Einheit in Vielheit: Identitätspflege in mehrgenerationalen Unternehmerfamilien.
Als FUTUN:Kollektiv glauben wir an die Wichtigkeit neuer Zusammenhänge und interdisziplinärer Begegnungen. Um diese auch für Sie sichtbar zu machen, laden wir Menschen, deren Perspektive wir schätzen, ein, diese zu teilen. Damit die Idee des Familienunternehmertuns, Familienunternehmerseins und der Enkelfähigkeit lebendig bleiben. Heute schenkt uns zum Auftakt Dr. Leonie Maria Fittko eine Gedankenbewegung:
In den ersten Generationen ist ein enger Kontakt zwischen den Familienmitgliedern und zwischen diesen und dem Unternehmen im besten Fall gegeben – oder einfach herzustellen durch räumliche und verwandtschaftliche Nähe. Im Verlauf der Generationen verändern sich die Unternehmerfamilie und das Familienunternehmen. Beide werden komplexer und entfernen sich zunehmend von einander. So stellt sich die Frage, wie eine gemeinsame Identität gepflegt werden kann, um die Grundvoraussetzung für ein langfristiges Zusammenspiel von Familie und Unternehmen zu pflegen. Dieser Frage gehe ich in meinem im April 2022 erschienenen Buch „Einheit und Vielheit in mehrgenerationalen Unternehmerfamilien: Identitätspflege als Aufgabe des Familienmanagements“ anhand von 8 erfolgreichen Unternehmerfamilien nach.
FamilienUnternehmerTUN
Es beschreibt für uns das Handeln, den Verstand, die Tiefenanalyse und die Wirkungen, die sich dadurch zeigen.
Die Pflege der gemeinsamen Identität einer Unternehmerfamilie kann als Teil des Familienmanagements gesehen werden. Wichtig ist die Bezugnahme auf die drei Kontexte der Unternehmerfamilie: Das Gefühl eines WIR als Unternehmerfamilie setzt sich zusammen aus einem wir als Familie, wir als Unternehmen und wir als Gesellschafterkreis. Die Praxis der Identitätspflege ist geprägt von verschiedenen Strategien und Maßnahmen, die allen Gesellschafter:innen sowie dem Familienkreis Identitätsanker erlebbar machen – sei es durch Wissensvermittlung in Unternehmensbesichtigungen und Gesellschafterversammlungen, Begegnungen auf Familienfesten, zum Beispiel in der Gründervilla, oder der gemeinsamen Beschäftigung mit dem gesellschaftlichen Engagement der Familie und des Unternehmens.
FamilienUnternehmerSEIN
Es beschreibt für uns das Gefühl, die Existenz und die Erlebnisse, die Menschen miteinander verbinden.
Wachsende Gesellschafter- und Familienkreise sind geprägt von ihrer zunehmenden Heterogenität – in Bezug auf die Vielfalt von Rollen, Lebensrealitäten und Einstellungen. Kann vor diesem Hintergrund überhaupt von einer Identität der Unternehmerfamilie ausgegangen werden? Multiple Identitäten sind Realität in Unternehmerfamilien und sollten als solche auch anerkannt und gepflegt werden; mit der Ausnahme von Teilidentitäten, die dem Gesamtverbund schaden wie beispielsweise sich konfliktär von einander abgrenzende Familienstämme. Jenseits dieser Vielheit entsteht im besten Fall das Gefühl, eine gemeinsame Identität als Unternehmerfamilie zu teilen, ein Gefühl von Einheit. In den untersuchten Fallbeispielen meiner Arbeit ließen sich diese gemeinsamen Identitäten als eher unspezifisch und vage charakterisieren, was sich vor dem Hintergrund der Heterogenität der Gesellschafterkreise als funktionale Praxis erweist.
Enkelfähigkeit in Denken und Handeln
Sie bedeutet für uns Zukunftsfähigkeit, Nachhaltigkeit & langfristige Wirksamkeit über Generationen.
Die Pflege der Identität(en) von und in Unternehmerfamilien steht im Zusammenhang der verschiedenen Generationen dieser Familien. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind immer präsent in diesen Familien und deren Unternehmen. Die jüngste Generation erinnert die aktive Generation tagtäglich daran, für wen der Zusammenhang der Unternehmerfamilie gepflegt und weiterentwickelt wird. Und die seniore Generation mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen schlägt die Brücke in die Vergangenheit. Es gilt, die Identität der Unternehmerfamilie mitzudenken im Rahmen des Familienmanagements – auch und gerade in Bezug auf die kommenden Generationen. Geschichte und Tradition, Gegenwart und Zukunft müssen erlebbar und erfahrbar sein, gemeinsam gestaltet und lebendig gehalten werden. Unternehmerische Entscheidungen im Jetzt werden auf Grundlage von anderen Kriterien getroffen. Die Auswirkungen auf die Identität der Unternehmerfamilie kann und muss jedoch mitgedacht und mitgestaltet werden. Muss beispielsweise das Gründungsgeschäft eines Familienunternehmens verkauft werden, entsteht für die Unternehmerfamilie eine Lücke: der wichtigste Identitätsanker fehlt, auch für kommende Generationen. Kreativität ist gefragt, welche alternativen Bezugspunkte der Unternehmerfamilie für aktuelle und zukünftige Generationen Halt und Identität geben können. Dabei haben die untersuchten Fallbeispiele gezeigt, dass unter anderem Orten eine zentrale Rolle zukommen kann. Als Begegnungsorte und Orte der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft der Familie und des Unternehmens. Ein weiterer sinnstiftender Identitätsanker kann ein gemeinsames gesellschaftliches Engagement sein. Und all diese Identitätsanker einer Unternehmerfamilie jenseits einzelner Unternehmensbereiche oder jenseits des Unternehmens insgesamt, können langfristig gemeinsame Bezugspunkte einer Unternehmerfamilie sein, gegebenenfalls auch nach einem Verkauf des Unternehmens.
Dr. Leonie Maria Fittko promovierte an der Universität Witten / Herdecke bei Prof. Dr. Arist von Schlippe; die Erkenntnisse dieses Beitrags und der Buchpublikation von 2022 beruhen auf ihrer Dissertation. In Forschung und Praxis beschäftigte sie sich u.a. mit dem gesellschaftlichen Engagement von Unternehmerfamilien und Familienunternehmen. Heute begleitet sie als Teil der FUTUN:Werkraumgemeinschaft unternehmerische Familien auf dem Weg in eine enkelfähige Zukunft.
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