Mehr als Zahlen und Rendite: Warum ein Familienunternehmen immer auch Heimat bedeutet.

Darf ein Familienunternehmen immer rational agieren? Oder anders gefragt: Muss das Unternehmen die emotionalen Werte der Familie als rationale Faktoren für sein Handeln berücksichtigen? Warum gehört ein Unternehmen auch zur Heimat? Und: Finden auch Mitarbeiter:innen in Familienunternehmen Heimat?
Tradition und lange Familienhistorie prägen unsere Familie, die man bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen kann. Besitztümer und Ländereien boten immer Heimatgefühle auch wenn viele Generationen dazwischen liegen. Oft wird Heimat an Orte geknüpft, letztendlich ist es aber das Gefühl des Ur-Vertrauens und «Aufgehobenseins» durch die an diesem Ort agierenden Personen, das wir in positiver Erinnerung mit diesem Ort verbinden. Dazu braucht es nicht eine so lange Familienhistorie wie in unserer Familie.
Seit 1818 ist der Draiser Hof, auf dem mein Vater aus dem ehemaligen Sommersitz unserer Vorfahren ein international anerkanntes Weingut in der bedeutendsten Weinregion in Deutschland aufgebaut hat, im Besitz unserer Familie. Aufgewachsen als ältester Sohn mit meinen vier weiteren Brüdern, bot uns der Hof und das Tun unserer Eltern Heimat. Aber wie auch viele andere Unternehmen standen wir immer wieder vor Herausforderungen, die bei uns den direkten Einstieg der nächsten Generation nicht gefördert und letztendlich zu der Aufnahme eines Mitinvestors sowie tiefgreifenden Umstrukturierungen geführt haben. Erst viel Mut und meine weitere berufliche Erfahrung haben mich motiviert, den Sprung in das Unternehmen zu wagen und mich mit meiner Frau und meinen Kindern der Herausforderung zu stellen.
Im Familienunternehmen sind rationale Entscheidungen nur eine Seite der Medaille.
Viele Jahre war ich in der M&A-Beratung und im Corporate Development tätig und dies prägt den Blick auf Unternehmen: EBITDA-Multiplikatoren, Discounted Cashflow, Synergieeffekte sind die Werkzeuge, mit denen Unternehmenswerte und -erfolge bemessen werden. Mit dieser analytischen Brille habe ich mich in einer für das Unternehmen und meinen Vater herausfordernden Zeit in die Belange des Geschäftes involviert, fest überzeugt, mit der Kraft rationaler Entscheidungen das Richtige für Unternehmen und Familie zu tun. Doch was auf dem Papier als rationale Entscheidungen erschien, offenbarte in der Realität eine weitere, zunächst unterschätzte Dimension: die unterschiedlichen Emotionen der Familienmitglieder zum Familienunternehmen. Die Entwicklung des Weingutes mit Veränderung der Gesellschafterstruktur durch Aufnahme eines Investors sowie im familiären Umfeld mit Übertragung des Unternehmens auf mich – von der Erweiterung der Rebflächen über die Modernisierung der Kellertechnik bis zum Ausbau des Event- und Hotelbereichs – folgte betriebswirtschaftlicher und der Situation angepasster Logik.
Ein Familienunternehmen ist mehr als die Summe seiner Vermögenswerte.
Ein Familienunternehmen ist ein Ort der Identität, an dem gegebenenfalls Generationen ihre Spuren hinterlassen haben. Erst im Laufe der Umstrukturierungsprozesse wurden diese tiefen emotionalen Dimensionen spürbar: Für die weichenden Erben bedeutet die Trennung vom Familienunternehmen nicht nur den Verzicht auf einen Vermögenswert. Es ist der teilweise Verlust ihrer emotionalen Wurzeln, ihrer Verbindung zu einem Ort, der ihre Identität mitgeprägt hat. Diese Erkenntnis – dass rationale Unternehmensentscheidungen auf tief verwurzelte emotionale Bindungen treffen – veränderte fundamental den Blick auf den Prozess. Was betriebswirtschaftlich sinnvoll erscheint, kann auf der emotionalen Ebene gegenläufige Wirkung entfalten. Und dies gilt im weiteren Sinne auch für die oftmals sehr verbundenen Mitarbeiter:innen.
Die Zukunftsfähigkeit eines Familienunternehmens bemisst sich nicht allein an Kennzahlen.
Die wahre Herausforderung liegt darin, das Unternehmen als emotionalen Anker für die Familie zu bewahren und gleichzeitig wirtschaftlich weiterzuentwickeln. Es gilt, Wege zu finden, die auch weichenden Familienmitgliedern eine emotionale Zugehörigkeit ermöglichen – unabhängig von operativer oder eigentumsrechtlicher Einbindung. Diese Balance zwischen wirtschaftlicher Notwendigkeit und emotionaler Bindung erfordert mehr als traditionelles Management: Sie braucht tiefes Verständnis für die nicht messbaren Werte eines Familienunternehmens. Nur wenn beide Dimensionen – die rationale und die emotionale – in Einklang gebracht werden, kann ein Familienunternehmen seine besondere Kraft entfalten: die Kraft, Generationen zu verbinden und Werte weiterzugeben.
Frederik zu Knyphausen, verheiratet und Vater von 4 Kindern, führt in 8. Generation das Weingut Baron Knyphausen im Rheingau sowie den angegliederten Hotel- und Eventbereich. FUTUN ist an diesem besonderen Ort wieder und wieder gerne zu Gast, um mit unternehmerischen Familien Werkräume zu gestalten. Nach Stationen im Corporate Finance und der strategischen Unternehmensentwicklung kehrte er 2016 in den Familienbetrieb zurück. Seine Erfahrungen aus beiden Welten – der analytisch geprägten Konzernwelt und dem emotionalen Umfeld eines Familienunternehmens – prägen seine Sicht auf nachhaltiges Unternehmertum. Für ihn wurde klar: Jeder Schritt, insbesondere in gesellschaftsrechtlichen Belangen, erfordert nicht nur strategisches Denken, sondern auch Einfühlungsvermögen und ein feines Gespür für zwischenmenschliche Beziehungen. Neben der Herausforderung, das Unternehmen betriebswirtschaftlich zu führen, hat er durch den Rückkauf des Unternehmens von dem Investor die Chance als 100%iger Familieneigentümer diese Heimat wieder herzustellen. Als weitere Herausforderung kommt für ihn hinzu, das Unternehmen für die nächste Generation so aufzustellen und entsprechende Visionen und Vorbereitungen zu treffen, dass eine entsprechende Familien-Governance-Struktur geschaffen wird, die als Leitlinie für die Weiterführung des Unternehmens für die gesamte Familie gilt.
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